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Jugendliche in ihrer Vielfalt

Die Arbeitsmarktteilnahme und materielle Absicherung werden bei jungen Erwachsenen wesentlich durch die schulischen und beruflichen Bildungsabschlüsse sowie die Bewältigung der jeweiligen Übergänge bestimmt. Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer Vielfalt sind in verschiedenen Programmen Zielgruppen des ESF Plus. Die Förderung und Unterstützung durch die Programme reicht von Qualifizierungsangeboten und Unterstützung bei der Ausbildung, über die Hilfen beim Übergang von der Schule in den Beruf, bis hin zu Fallmanagement und aufsuchender Arbeit. Ein Teil der Programme im ESF Plus hat dabei besonders benachteiligte Untergruppen im Blick, z.B. eingewanderte junge Menschen bzw. junge Nachkommen Eingewanderter, junge Geflüchtete, junge Mädchen mit Zuwanderungsgeschichte, junge von Wohnungslosigkeit Bedrohte, oder Care-Leaver.

Aus der Perspektive des Querschnittsthemas Gleichstellung der Geschlechter ist bei dieser Zielgruppe zunächst danach zu fragen, welche geschlechtsspezifischen Unterschiede im Bildungssektor vorzufinden sind, wie sich die Chancen beim Übergang in Ausbildung und Studium unterscheiden und wie Geschlechterrollen und -stereotypen in dieser Lebensphase wirken. Junge Frauen haben im Vergleich zu jungen Männern inzwischen zwar durchschnittlich höhere Schulabschlüsse, diese machen sich für sie aber bei der Einmündung in den Arbeitsmarkt nicht adäquat bezahlt. Nach wie vor verdienen Frauen durchschnittlich weniger als Männer und sie haben geringere Aufstiegschancen.

Vor dem Hintergrund geschlechtsspezifischer Sozialisation, traditioneller Rollenzuschreibungen, einem Mangel an Vorbildern und von Bedürfnissen nach einer mit gängigen Geschlechterrollen kongruenten Berufswahl entscheiden sich Jugendliche oft für Bildungsgänge und Berufe, in denen mehrheitlich Angehörige des eigenen Geschlechts beschäftigt sind – sie treffen eine geschlechtstypische Berufswahl. Dabei ist das Berufswahlspektrum von jungen Frauen enger als das von jungen Männern, und sie münden häufiger in vollzeitschulische, z. T. kostenpflichtige Ausbildungen, während Männer eher in (vergütete) betriebliche Ausbildungen eintreten.

Die wesentlichen Instanzen der Berufswahl und des Einstiegs in die berufliche Bildung sind neben Eltern und sozialem Umfeld die Betriebe, Schulen, Beratungsangebote der Arbeitsagentur u.a., Kammern und Verbände. Wenn diese Akteur*innen für die Problematik sensibilisiert sind, eigene Geschlechterbilder kritisch reflektieren können und Handlungsansätze einer geschlechtergerechten beruflichen Orientierung kennen, können sie einer geschlechtstypischen Berufswahl entgegenwirken. Nicht zuletzt beeinflusst auch die Art der öffentlichen Darstellung von Berufsbildern die geschlechtstypische Berufswahl (Franzke 2010, 2014).

Der Bereichsübergreifende Grundsatz Antidiskriminierung auf die Zielgruppe Jugendliche erfordert einen genauen Blick darauf, ob es für Teilgruppen weitere Diskriminierungshürden gibt und wie sich die Situation für männliche und weibliche Angehörige dieser Zielgruppen unterscheidet.

Hier geht es insbesondere um Bildungsbenachteiligungen bei Jugendlichen aus Zuwanderungskontexten in ihrer Vielfalt. Auch wenn es hier in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen gab, haben immer noch überdurchschnittlich viele junge Menschen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte einen Hauptschulabschluss oder keinen Abschluss und unterdurchschnittlich viele eine (Fach-)Hochschulreife. Auch sind sie in der beruflichen Bildung benachteiligt; sie münden trotz engagierter Suchaktivitäten seltener und später in betriebliche bzw. vollzeitqualifizierende Ausbildungen und häufiger in Angebote des Übergangssystems ein bzw. sind arbeitslos oder niedrig qualifiziert beschäftigt.

Im Hinblick auf Geschlecht zeigt sich, dass junge Frauen mit Migrationshintergrund höhere Bildungsabschlüsse erwerben und seltener ohne formalen Berufsabschluss als die männliche Vergleichsgruppe bleiben (BIBB 2019). Junge Männer mit Migrationshintergrund haben die schlechtesten Chancen für einen Übergang in betriebliche Ausbildung (Beicht/Walden 2019). Problematisch sind zudem besonders hohe Abbruchquoten von Studierenden mit Zuwanderungsbiografie. Allerdings gibt es im Bildungssystem große Unterschiede nach Herkunftsländern, Zuwanderungsgeneration und dem Bildungshintergrund der Eltern. Am stärksten wirkt dabei die Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft (SVR 2016). Für geflüchtete Jugendliche gibt es zudem eine Vielzahl von formalen Einstiegshürden in das deutsche Ausbildungssystem. Studien konnten zeigen, dass schlechtere Einmündungschancen in berufliche Bildung auch direkt mit struktureller Ausgrenzung und Diskriminierung zusammenhängen (Beicht/Walden 2018).

Auch für Jugendliche mit Behinderungen gibt es nach wie vor besonders hohe Barrieren. Zum einen ist die inklusive Gestaltung des Bildungswesens noch nicht ausreichend vorangeschritten, zum anderen realisiert sich für Menschen mit Beeinträchtigungen der Übergang aus allgemeinbildenden Schulen in die berufliche Qualifizierungsphase und aus der beruflichen Qualifizierung in die Erwerbstätigkeit seltener als für Menschen ohne Beeinträchtigungen. Der Anteil von Menschen mit Beeinträchtigungen mit Hochschulreife oder Fachhochschulreife und mit akademischen Abschlüssen ist deutlich niedriger als der von Menschen ohne Beeinträchtigungen, und sie verfügen wesentlich häufiger über einen Hauptschulabschluss oder keinen schulischen bzw. beruflichen Abschluss.

Der Anteil derer ohne Schulabschluss und beruflichen Abschluss liegt am höchsten bei Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund (BMAS 2021: 168, 172). Menschen mit Beeinträchtigungen erreichen trotz (Fach-)Abitur seltener einen akademischen oder höheren beruflichen Abschluss; für Frauen gilt dies noch häufiger als für Männer. Der Anteil an Auszubildenden mit Beeinträchtigungen an allen Auszubildenden in den Betrieben bleibt trotz Fachkräftemangel niedrig, so dass der Dritte Teilhabebericht von einer wesentlichen „Baustelle“ für die Inklusion in der Bildung spricht (ebd.).

Die Programme zur Unterstützung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen müssen zur Umsetzung der Bereichsübergreifenden Grundsätze Gleichstellung der Geschlechter und Antidiskriminierung diese unterschiedlichen Ausgangslagen bedenken und prüfen, inwieweit die zu fördernden Projekte mit den Unterstützungsangeboten dazu beitragen, mehr Geschlechtergerechtigkeit herzustellen und diskriminierende Barrieren für die unterschiedlichen Zielgruppen zu überwinden.

Aus der Perspektive der Ökologischen Nachhaltigkeit ist die Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen von besonderer Bedeutung, denn sie gilt es zukunftsorientiert auszubilden. Für die benötigte nachhaltige Transformation (Energiewende, Agrarwende, Verkehrswende etc.) braucht es beruflich qualifizierte Fachkräfte mit nachhaltigkeitsbezogenen Kompetenzen. Diese Qualifizierung kann durch die Berufsbildung für Nachhaltige Entwicklung (BBNE) erfolgen, jedoch sollte die Sensibilisierung für nachhaltige, bzw. umweltbezogene Aspekte schon bei der Berufsorientierung zum Tragen kommen. Das frühzeitige Heranführen an umweltrelevante Herausforderungen und mögliche “grüne Jobs” setzt nicht nur sensibilisierte, sondern in diesem Feld qualifizierte Akteur*innen in der Berufsberatung voraus.

Dass Themen der Ökologischen Nachhaltigkeit für Jugendliche eine hohe Relevanz haben, zeigen die jüngsten Studien zum Umweltbewusstsein in Deutschland: für mehr als 80% der befragten Jugendlichen gehört Umwelt- und Klimaschutz zu den wichtigsten gesellschaftlichen Themen (BMUV/UBA 2022a). Auch ist das Engagement für Klimaschutz bei den jüngeren Altersgruppen am stärksten ausgeprägt (BMUV/UBA 2022b: 58).

Bei der Berufswahl und der Arbeitsmarktteilnahme gilt es zu berücksichtigen, dass das hohe Bewusstsein und Engagement der Jugendlichen für Klimaschutz genutzt wird, damit es sich auch in der Berufswahl und Arbeitsmarktteilnahme widerspiegelt. Es gibt zukunftsträchtige Berufsbereiche mit qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen, bspw. im Bereich der Green Economy, aber diese sind oft noch nicht im Bewusstsein der beratenden Personen. Es ist wichtig, die Berufe, die für die ökologische Transformation der Wirtschaft notwendig sind, für Jungen und Mädchen in ihrer Vielfalt gleichermaßen attraktiv und zugänglich zu machen.


November 2023